Ghana

„Bildung ist der Schlüssel“

08.03.2019

Allein durch Bildung lässt sich das Problem der Hexenbeschuldigungen lösen, ist Pater Phanuel Myers Agudu SVD überzeugt. Er setzt sich im Norden Ghanas für die Opfer ein, die als „Hexen“ aus ihren Dörfern vertrieben werden.

Für Europäer ist der Glaube an Hexen im Jahr 2018 unvorstellbar. In Ghana ist er Alltag…

Ja, er ist Teil unserer Kultur. Die ghanaische Kultur glaubt an die übernatürliche Welt. Aber natürlich auch an Gott. Es ist eine Mischung aus Traditionen und Religionen.
Seit 2009 setzt sich P. Phanuel Myers Agudu SVD für die als "Hexen" beschuldigten Frauen im Norden Ghanas ein. (Foto: SVD)zoom
Seit 2009 setzt sich P. Phanuel Myers Agudu SVD für die als "Hexen" beschuldigten Frauen im Norden Ghanas ein. (Foto: SVD)

Wie kommt es zu den Hexenbeschuldigungen?

In Ghana gibt es regionale Unterschiede. Zwar ist der Glaube an Hexen im ganzen Land verbreitet, doch können Menschen im Süden nicht einfach einander offen als Hexen beschuldigen. Es wird zwar hinter dem Rücken getuschelt, aber eine öffentliche Anklage gibt es nicht.
Im Norden Ghanas ist eine öffentliche Beschuldigung möglich. Zum Beispiel kann jemand sagen: „In meinem Traum hat mich diese Frau angegriffen. Sie ist eine Hexe.“ Oder jemand stirbt plötzlich. Dann sucht man schnell nach einer Ursache, einem Schuldigen. Denn in unserer afrikanischen Kultur passiert nichts zufällig. Wenn irgendetwas passiert, muss es einen Grund, eine Ursache dafür geben und die wird gesucht. Oft ist der Grund Hexenkraft.
Der Glaube der Menschen hier sagt, dass es meistens Frauen sind, die solche praktizieren. Ganz selten gibt es auch Männer, die beschuldigt werden.
Was passiert nach der Anklage?

Wenn eine Frau als Hexe angeklagt wird, ist sie zu 70 Prozent „schuldig“. Sie hat das Recht, ihre Unschuld zu beweisen, aber das ist sehr schwierig. Ihre Familie, ihre Kinder könnten sie in Schutz nehmen und sagen, dass sie unschuldig ist. Aber sie haben Angst. Denn in Ghana sagt man, Hexen könnten sich auf verschiedenen Wegen tarnen und man könne einer Person nicht ins Herz blicken. Also ist das einzige, was zum Beispiel die Kinder der Frau für sie tun können, ihr bei der Flucht zu helfen. Ist sie der Hexerei angeklagt, muss sie gehen, oder sie wird umgebracht.
Im Gushiegu-Camp lebt zum Beispiel eine Frau, auf die man solange mit Stöcken eingeschlagen hat, bis sie zugegeben hat, eine Hexe zu sein. Das war die einzige Chance, sich zu retten.

Sie haben gerade schon einige Gründe für Beschuldigungen genannt. Welche weiteren gibt es?

Frauen sind in der Kultur Ghanas Menschen zweiter Klasse. Sie sind dem Mann unterstellt. Der Mann hat die Macht und die Stärke. Und in solchen patriarchalischen Strukturen werden Frauen, die Stärke zeigen, die erfolgreich und mutig sind und sich dem Mann entgegenstellen, oft Opfer von Hexenbeschuldigungen. Auch das hohe Alter von Frauen spielt eine Rolle. Ältere Frauen werden oft der Hexerei beschuldigt. Sie werden als „unnütz“ für die Gesellschaft angesehen, weil sie keine Kinder mehr bekommen können, weil sie zu schwach sind, um zu arbeiten oder weil sie verwitwet sind.
Oft werden in Ghana Frauen der Hexerei beschuldigt, die ein gewisses Alter erreicht haben. (Foto: SVD)zoom
Oft werden in Ghana Frauen der Hexerei beschuldigt, die ein gewisses Alter erreicht haben. (Foto: SVD)
Müssen die Frauen, die aus ihren Heimatdörfern vertrieben wurden, nicht Angst haben, in die Hexendörfer verfolgt zu werden?

Nein, zum Glück nicht. Denn ist eine Frau einmal verbannt, ist sie den Menschen egal. Sie verfolgen sie dann nicht mehr und es liegt an ihr, wo sie hingeht. Hauptsache, sie bleibt dem Dorf fern. Die Frauen, die in die Hexencamps fliehen, wissen, dass sie hier sicher sind. Hier brauchen sie um ihr Leben nicht zu fürchten und können ihr Trauma verarbeiten. Hier müssen sie sich neuen Herausforderungen stellen. Denn sie sind stigmatisiert, das heißt, dass die Menschen der Umgebung sie meiden. Ein Hexencamp ist also eine Infrastruktur, ein Flüchtlingszentrum.
Während die jüngeren Frauen zum Markt gehen, bereiten die älteren im Dorf Mahlzeiten für alle vor. (Foto: SVD)zoom
Während die jüngeren Frauen zum Markt gehen, bereiten die älteren im Dorf Mahlzeiten für alle vor. (Foto: SVD)

Wenn eine als „Hexe“ beschuldigte Frau gemieden wird, wie gehen die Frauen in den Camps dann miteinander um?

Dadurch, dass sie das gleiche Schicksal erleiden, haben sich in den Camps neue Gemeinschaften, neue soziale Gebilde entwickelt, ein „Wir“. Es gibt schwache und starke Frauen. Sie kümmern sich gegenseitig umeinander. Die stärkeren helfen auf der Farm, säen etwas und bekommen dafür ein wenig Geld, für das sie Nahrung kaufen können. Andere sammeln heruntergefallene Körner etc. vom Markt auf und bringen sie nach Hause. Die anderen kochen daraus etwas.
Können die Frauen jemals in ihre Heimat zurückkehren?

Wenn sie krank sind, erlaubt ihnen ihre Gemeinschaft zurückzukehren, um zuhause zu sterben. Denn dann können sie nichts mehr „anrichten“. Außerdem dürfen sie zu einer Beerdigung ins Dorf kommen, aber als Fremde. Für immer zurückkehren, wäre nur möglich, wenn der Ankläger die Anklage zurücknimmt. Und das passiert so gut wie nie.

So gut wie nie. Haben Sie es dennoch schon einmal erlebt?

Ja, einmal. 13 Jahre lang hatte eine Frau im Gushiegu-Camp gelebt. Ihr Schwager hatte sie damals beschuldigt. Und als er im Sterben lag, plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Er ließ die Frau in das Dorf kommen und sagte ihr, dass ihn jemand beeinflusst hatte, sie zu beschuldigen, und dass das falsch war. Er entschuldigte sich und nahm die Beschuldigung zurück. Damit konnte sie nach Hause zurückkehren.
Jeden Tag laufen die Frauen aus dem Hexendorf zwei Kilometer zum nächsten Markt, um dort heruntergefallene Körner einzusammeln. (Foto: Melanie Pies-Kalkum/SVD)zoom
Jeden Tag laufen die Frauen aus dem Hexendorf zwei Kilometer zum nächsten Markt, um dort heruntergefallene Körner einzusammeln. (Foto: Melanie Pies-Kalkum/SVD)
Die Steyler Missionare sind in den nördlichen Dörfern pastoral tätig, feiern Heilige Messen, halten Katechesen und taufen. Wie funktioniert die Mischung von Christentum und einer Kultur, in der der Glaube an Hexen unangreifbar ist?

Das ist die große Herausforderung. In den Dörfern gibt es Christen, die bei den Beschuldigungen mitziehen. Sie sind sonntags bei uns in der Messe und treiben nachmittags zusammen mit der Gemeinschaft eine Frau aus dem Dorf. Natürlich passt das überhaupt nicht zusammen. Aber der Punkt ist der, dass der christliche Glaube bei diesen Menschen ganz oberflächlich ist. Er hat noch keine tiefen Wurzeln.

Wie helfen die Steyler Missionare den Frauen?

Diese Menschen haben zwar in den Camps ein Dach über dem Kopf, leben aber dennoch unter ärmsten Verhältnissen. Deshalb sammeln wir Nahrungs- und Kleidungsspenden aus den Gemeinden, in denen wir tätig sind, und versorgen diese Frauen mit Medizin und Hygieneartikeln. Gerechtigkeit und Frieden sind für uns Steyler Missionare ganz wichtig und diese werden durch die Hexenbeschuldigungen missachtet. Deshalb setzen wir uns für die Frauen ein, die beschuldigt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, und wollen sie stärken, dass sie wieder Fuß fassen in der Gesellschaft.

Wie würden Sie den bisherigen Erfolg des Einsatzes der Steyler Missionare für diese Frauen beschreiben?

Den Erfolg erläutere ich am Brunnen im Gushiegu-Hexencamp: Dort bekommen die Frauen ihr Wasser. Wenn Trockenzeit ist und die umliegenden Dörfer kein Wasser haben, kommen die Menschen von dort, um hier bei den Frauen Wasser zu holen. Das zeigt, dass die beschuldigten Frauen integriert werden. Sie werden wieder Teil einer Gemeinschaft und sind nicht mehr länger Ausgestoßene.

In der Regenzeit ist der Weg zum Hexendorf überflutet. (Foto: SVD)zoom
In der Regenzeit ist der Weg zum Hexendorf überflutet. (Foto: SVD)

Was unternimmt die Regierung in dieser Problematik?

Nichts. Es gab Tendenzen der Regierung, die Camps zu schließen, um das Problem zu lösen. Aber das ist der falsche Weg. Die Camps sind keine Ghettos, sondern Flüchtlingszentren. Wenn man sie schließt, bricht das Solidaritätskonstrukt und die Frauen sind wieder auf sich alleine gestellt, wissen nicht wohin.

Worin liegt also die „Lösung“ des Problems?

Die Lösung muss an der Wurzel geschehen, bei den Beschuldigungen. Und dafür ist Bildung der einzige Schlüssel. Deshalb setzen wir uns im ganzen Land dafür ein, Menschen aufzuklären, sie zu bilden. Beginnend bei den Kindern. Wir müssen sie dafür sensibilisieren, dass es falsch ist, eine Frau der Hexerei zu beschuldigen. So wie Bildung der Schlüssel war, die Genitalverstümmelungen der Frauen zu reduzieren, so wird Bildung auch Hexenbeschuldigungen entgegenwirken. Davon bin ich überzeugt.

Warum ist Ihnen persönlich der Einsatz für diese Frauen so wichtig?

Menschen leiden zu sehen, ist für mich das Schlimmste. Vor allem so verletzliche. Ich kann nicht mit ansehen, wenn eine Frau, die meine Großmutter sein könnte und die ihr Leben in Ruhe und Frieden leben können sollte, ihr Zuhause verlassen muss. Für mich ist es also sehr wichtig, diese Menschen zu stärken. Auch wenn sie nicht nach Hause gehen können, sollen sie sich wenigstens im Hexendorf wohlfühlen und in Würde friedlich leben können.
Trotz ihres Schicksals verlieren die Frauen aus dem Hexendorf niemals ihre Lebensfreude. (Foto: SVD)zoom
Trotz ihres Schicksals verlieren die Frauen aus dem Hexendorf niemals ihre Lebensfreude. (Foto: SVD)
Interview: Melanie Pies-Kalkum
 
Melanie Pies-Kalkum

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