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21.07.2021

Was würde Hannah Arendt zu Maria 2.0 sagen?

Pater Fidelis Regi Waton SVD hat als Präfekt der Steyler Missionare die Aufgabe, den Ordensnachwuchs während des Studiums zu begleiten. 2016 hat er in Berlin an der Humboldt-Universität im Bereich der politischen Philosophie promoviert zur Frage: „Die Provokation des Guten – Arendts philosophische Untersuchung zur Frage nach Schuld und Verantwortung unter der Totalitären Herrschaft“. Wir haben ihn gebeten, einen Blick aus philosophischer Sicht auf die Frauenfrage im kirchlichen Kontext zu werfen.

Pater Fidelis

Gegenwärtig ist kaum eine Denkerin so aktuell wie Hannah Arendt. Geboren wurde sie am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover. In Königsberg ist sie aufgewachsen. Ihre Eltern waren assimilierte und reformierte Juden von liberaler Grundhaltung. Bei Rudolf Bultmann, Martin Heidegger, Edmund Husserl und Karl Jaspers studierte Hannah Arendt Philologie und Philosophie. Zu ihren Lebzeiten war der Antisemitismus eine staatlich programmatische Angelegenheit. Nur knapp entkam sie dem Nazi-Konzentrationslager: 1933 wurde sie in Berlin verhaftet, floh kurz darauf nach Frankreich und emigrierte 1941 in die USA. Im Exil philosophierte sie wirkungsvoll und starb am 4. Dezember 1975 in New York.

Hannah Arendt gehört zu den exzellenten Geistesgrößen des 20. Jahrhunderts und zu den wenigen Frauengestalten in der langen Geschichte der Philosophie, die traditionell als ein männerzentrierter Bereich der Wissenschaft betrachtet wurde. Sie setzte sich in diesem männlichen Kanon der Philosophie durch. Als „Denkerin ohne Geländer“ verstand sie sich, da sie keiner philosophischen Richtung angehörte, keiner bestimmten Theorie folgte und sich keinen intellektuellen Zwängen beugte.

Nach ihr wurden bereits Straßen, Schulen und sogar ein ICE-Zug benannt. Diese provokante Philosophin ist nun eine Ikone der diversen Protest- und Widerstands-bewegungen. Die Reformbewegung „Maria 2.0“, die sich für Frauenrechte und Gleichstellung in der katholischen Kirche einsetzt, findet ihre Inspirationsquelle u.a. im Denken Hannah Arendts. Zwei Thesen möchte ich präsentieren, was Hannah Arendt zu Maria 2.0 sagen würde.

Pater Fidelis
Maria 2.0
 

Erstens: Zuhause wurde Hannah Arendt vom Anfang an zur Zivilcourage erzogen. Sie erbte von ihrer Mutter eine imperative Verhaltensregel: „Man darf sich nicht ducken! Man muss sich wehren!“ Später sagte Arendt: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.“ Vielfältige Unterdrückungs- und Diskriminierungsformen dürfen nicht toleriert werden. Widerstand ist angesagt. Bedingungslose Unterordnung im Geist des Gehorsams führt häufig zum Machtmissbrauch. In einem Rundfunkinterview mit Joachim Fest (09.11.1964) betonte Hannah Arendt im Rekurs auf Immanuel Kant: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“ Kein Mensch hat also die Pflicht zu gehorchen. Ihre knallharte Sentenz gilt für „gehorchen“ im Sinne von Kadavergehorsam und Ausschalten des kritischen Mit- und Nachdenkens.

Zweitens: Im Gespräch mit dem Journalisten Günter Gaus in der Sendereihe „Zur Person“ im ZDF (28.10.1964) wurde sie nach ihrer Einstellung zur Emanzipation der Frauen gefragt. Daraufhin entgegnete Hannah Arendt schlichtweg, dass das Problem der Emanzipation für sie persönlich nie eine Rolle spielte. Sie machte einfach, was sie machen wollte. Durch ein solches Statement wirkte sie auf die Aktivistinnen der Frauenrechte arrogant und herzlos Viele Befürworter der Frauenbewegungen sind von ihr enttäuscht. Arendt erntete harte Kritik von Seiten der Feministinnen. Angeblich sei sie den verschiedenen Formen der Ausgrenzung der Frauen in Kultur und Politik mit Ignoranz begegnet. Hannah Arendt war keineswegs eine Anhängerin der Frauenemanzipations-bewegung und ging nicht näher auf die Frauenfrage ein. Das kollektive Auftreten unter dem auf das Geschlecht reduzierten Sammelbegriff „Frau“ ist ihr nicht wesentlich. Die Geschlechterverschiedenheit hat in ihren Augen keine politische Bedeutung, denn sie gehört dem privaten Bereich an. In der öffentlichen Sphäre betrachtet sie Menschen im vollen Sinne des Menschseins ohne Unterschied zwischen Frau-Sein und Mann-Sein. Das sollte man allerdings nicht falsch einschätzen: Arendt strebt nicht an, die Geschlechtsdifferenz aufzuheben, sondern sie plädiert für die irreduzible Einzigartigkeit des Individuums. Die einzig wirkliche Differenz liegt ihr zufolge in der Verschiedenartigkeit aller Menschen, deswegen war ihr jede Form von Identitätspolitik suspekt. Den Befreiungsbewegungen der Frauen stand Hannah Arendt jedoch nicht im Weg; sie sympathisierte mit ihnen, blieb aber trotzdem kritisch. An eine Mitstreiterin für die Emanzipation schrieb sie: „Die wahre Frage lautet doch: Was werden wir verlieren, wenn wir gewinnen?“

Text: Pater Fidelis Waton SVD
Fotos: Eduardo Silva SVD

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